Asymmetrisch singen in Bethesda

„Unsere Kirche eignet sich hervorragend zum Singen“, meint Michel, ganz in weiß gekleidet. Über der Kirche weht die französische Flagge, an seinem Akzent im Englischen merkt man, dass die frankophone Welt sein Hintergrund ist. Ungefähr 70 ist er. Sein Kollege aus England begrüßt uns freundlich in der Kirche St. Anna mit dem Teich Bethesda und „verwickelt“ uns in eine angeregte Unterhaltung. Woher wir denn kommen? Ja, Germany, Bayern.  Ob wir das erste Mal in Jerusalem sind?

„Dann macht ihr Urlaub, wie der Geist euch leitet?“ Ja, so kann man das fast sagen. Pfingstler? Na, klar ist ihm das ein guter Begriff. „Heißt das in Deutschland auch Assemblies of God“? Nein, heißt es nicht. „Aber nun geht erstmal, um unser Gelände anzuschauen, in wenigen Minuten schließen wir.“

Bethesda hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Bei den vergangenen Besuchen in Jerusalem waren wir hier immer nur vorbeigegangen, aber jetzt schauen wir rein. „Jetzt kann ich verstehen, warum der Kranke in Johannes 5 keine Chance hatte, zum Wasser zu kommen, wenn es sich bewegt. Die beste Ehefrau von allen klettert tief nach unten und untersucht die römische Zisterne. Biblische Geschichte wird lebendig. Der kleine Flyer mit Erklärungen in deutscher Sprache tut seinen Teil dazu.

Ja, es steht ja wirklich in der Bibel etwas drin von den fünf Säulenhallen, von denen man hier die Überreste besichtigen kann. Man überträgt die Vorstellung der biblischen Geschichten immer in seine eigene Kultur. Bei „Teich“ hatte ich immer eher an „Gartenteich“ im deutschen Sinne gedacht. Leider Fehlanzeige.

„How great is our God“. Die Akustik in St. Anna ist wirklich ausgezeichnet. Zur Wiederholung kommt Michelle herein. Er erklärt uns, warum das so ist. „Sie ist leicht unsymmetrisch gebaut, ganz bewusst. Deswegen kommen die Reflexionen unregelmäßig und verstärken deine Stimme.“ Aha, so ist das also.  Asymmetrie macht das Leben manchmal besser.

Welch eine Weisheit.

„Alle sind besorgt wegen des Septembers“. Das Gespräch mit Michel zieht sich sehr lange hin. „Ich habe hier den Schlüssel“, beruhigt er uns. Von Schließen ist keine Rede mehr.  „Letztlich verliert doch immer der kleine Mann auf der Straße“, konstatiert er. „Nach der zweiten Intifada ist die Zahl der jährlichen Touristen bei uns von 200.000 auf 18.000 gefallen. Jetzt sind wir wieder bei 400.000. Die Geschäfte gehen auf den Märkten schlecht, wenn etwas passiert.“ Es treibt die Menschen umher, man spürt eine gewisse Angst. Was wird im September sein? Wird es eine Resolution der UN geben? Wird einseitig ein Staat Palästina ausgerufen? „Das wird nicht funktionieren“, meint Michel und rät uns gleichzeitig, unseren abendlichen Ölbergbesuch zu verschieben. „Die Araber da oben sind abends nicht die frömmsten“. Wir nehmen seine Warnung ernst. „Ich werfe die Führerscheine, die wir in den leeren Geldbörsen finden, jetzt immer in den Briefkasten. Früher habe ich sie aus Fürsorge zur Polizei gebracht, aber dann haben sie mich immer stundenlang interviewt. Das muss ich mir nicht mehr geben“. Woher die Geldbörsen sind, will ich wissen? „Nun ja, wir finden sie immer in oder hinter unseren Grenzmauern.“

Betesda liegt im arabischen Teil von Alt-Jerusalem. Bis 1967 war es unter jordanischer Herrschaft.

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