Gilad is alive oder: Ein freier Stuhl für Gilad Schalit

In Jerusalem wird demonstriert. Viel. Überall. Ebenso an anderen Orten im Land. Nein, Demos im herkömmlichen Sinne eigentlich weniger. Wohnungsnotstand, Ärztestreik wegen niedriger Löhne – das sind Themen, die die Menschen bewegen.

Im Vorbeigehen lasse ich das Wohnungsnotstand – Zeltlager im Independance-Park auf mich wirken, Volksküche inklusive. Es ist ein Lager von vielen. Der Rasensprenger eignet sich hervorragend, um die Karotten für das Mittagessen zu waschen. Das Planschbecken hält als „Volksbadewanne“ her, mit Sonnenschutz.

300 Meter oberhalb haben die Aktivisten für Gilad Schalit ihr Domizil am Straßenrand aufgeschlagen. Auch hier wird demonstriert, aber anders. 1864 plus x Tage ist Gilad mittlerweile in den Händen der Hamas, so heißt es. Ob er noch lebt, fragen wir einen der Volontäre am Stand? „Ja, wir glauben es“. Er drückt uns einen Aufkleber zum Mitnehmen in die Hand. „Gilad is alive“ – in Israel-Blau gedruckt. Dazu ein paar gelbe Bänder. Was wir damit tun sollen? Irgendwo anbinden, ans Auto, an einen Baum und sich dadurch bekennen.

Ob Gilad dadurch freikommt? „Wir tun für ihn, was wir können“. Der Volontär ist zuversichtlich. „Wir unterstützen die Familie, stehen hinter ihnen, helfen ihnen.“ Ob er Gilad persönlich kennt? Nein. Aber der Einzelne ist in diesem Land wichtig. Die letzte Lebensnachricht von Gilad stammt aus dem Jahr 2009.

Gilad ist zum nationalen Symbol geworden. Man will sich dem Druck und der Erpressung nicht beugen, aber auch ihn nicht vergessen. Dafür setzen sich die Menschen ein. Der Stand ist, obwohl fast in einer eher unbedeutenden Straße, immer umlagert. Später erfahre ich, warum der Stand gerade hier aufgebaut ist: Das Domizil des Ministerpräsdidenten befindet sich gleich um die Ecke. Er soll immer wieder mit diesem Problem konfrontiert werden. Auf der Pinnwand werden Bekundungen des Mitgefühls geschrieben.

Im Pavillon der Aktivisten kann man sich auf Stühlen niederlassen und reden. Nein, aber bitte nicht auf diesem. Der ist für Gilad reserviert. Der bleibt immer frei. Welche eine Symbolik, welch ein Ausdruck von Hoffnung.

Ein Fernsehteam dreht einen Beitrag über Gilad und die Gerüchte der letzten Tage um einen möglichen Gefangenenaustausch. Ob ich mich dazu äußern möchte? Ich halte es für weiser mich an dieser Stelle bedeckt zu halten und keine Aussage vor der Kamera zu machen…

In der messianischen Gemeinde, die wir besuchen, wird auch für Gilad gebetet. Mögen die Gebete erhört werden.

Beckstein und die versunkene Sonnenbrille

Das Mittelmeer ist wirklich anders als der Starnberger See – oder die Nordsee. Das fängt schon mal bei den Temperaturen an. „Ich nehme es mit zu uns“, meint Petra badelustig. Sonst gehört sie nicht so zu den Badenixen, aber bei diesen Temperaturen ist auch sie nicht zu halten.

Meine Sonnenbrille. Ach, da war doch was. Das Mittelmeer ist eben anders. Die Bademeister hier am Strand von Tel Aviv scheinen in ihrer einstigen Karriere Stadionsprecher bei Bayern München gewesen zu sein. Alle Minute haben sie eine Durchsage und weisen die Badegäste lautstark, tlw. brüllend und pfeifend über Lautsprecher zurecht. Müssen sie wohl auch, denn die Wellen sind echt umwerfend.

Beim zweiten Badegang erwischt es mich auch. Rums – ich liege auf dem Boden. Meine Sonnenbrille? Ja, beim Baden hat man doch eine auf – ich meine, ich habe eine auf. Wo ist sie? Das trübe Wasser lässt keinen eindeutigen Blick auf den Boden zu. So taste ich um mich, suche – und finde. Meine Familie hätte sich sicher gefreut, wenn diese modische Errungenschaft aus längst vergangenen Zeiten es dem maltesischen Schiffbruch des Paulus gleichgetan hätte und im Mittelmeer für immer versunken wäre. Aber nein, sie sollte bei mir bleiben. Ganz im Gegensatz zum Mantel.

Am Strand lese ich Günter Beckstein. „Die 10 Gebote – Auftrag und Verantwortung“. Druckfrisch war mir das Buch beim Offenen Himmel in die Hände gedrückt worden, als Belegexemplar, weil es ein Foto von mir enthält: Der ehem. Bayer. Ministerpräsident in seiner Zeit als Innenminister mit der „kleinsten Kirche der Welt“, den ProChrist-Mobilen auf dem Münchner Odeonsplatz.

Das Buch liest sich gut. Vor allem, die Werte, die er hier in klarer Weise vertritt, gefallen mir. Wie kann ich als Christ in der Spannung zwischen christlicher und politischer Verantwortung leben? Zunächst fängt er bei der geistlichen Bedeutung der Gebote an, mit einem enorm klaren Christusbekenntnis, um dann jeweils sehr schnell politisch zu werden. Beckstein zeigt anhand von Beispielen seiner eigenen politischen Laufbahn auf, wie man diesen Spannungsbogen meistern kann – und ist dabei auch glaubwürdig selbstkritisch. Halb schaffe ich das Buch in Tel Aviv, dann ruft wieder das lauwarme Mittelmeer – und unser Egged – Bus zurück nach Jerusalem.

Egged meets Jerubus

Lautstark verhandeln die Fahrgäste mit dem Busfahrer, bzw er mit ihnen. Worum es geht, bleibt uns verschlossen, da unsere Hebräischkenntnisse ungefähr auf dem Höhenniveau des Toten Meeres liegen. Schließlich wandert ein 200 Schekel-Schein von hinten durch den Kleinbus zum Fahrer.  Diese Busfahrer sind ein echtes Phänomen. Während er rasant durch die Stadt braust, verkauft er die Fahrkarte, wechselt und das Wechselgeld, bei einem Fahrpreis von 6 Schekel nicht gerade wenig, wandert durch den Bus nach hinten zurück. Das hat hier System, denn während der Fahrt in Tel Aviv passiert das mehrfach.

Egged-Busse, so heißen die hier. Busfahren ist hier wirklich viel (!) interessanter, als in München. Zum einen gibt es keinen Fahrplan. Wozu auch. Gehalten werden kann der sowieso nicht. Der Verkehr ist an manchen Stellen einfach zu chaotisch. Also wartet man einfach. Wenn man Glück hat, kommt ein Bus, oder man wartet weiter.

Die Fahrer, so scheint es, haben alle Nachhilfeunterricht bei Schumacher und Vettel erhalten. Fast dauernd drückt der Fahrer auf die Hupe. Am Yehuda-Markt versucht ein Händler mit einem hoch bepackten Handwagen mit Obst die Straße zu überqueren. Das kann nur schief gehen. Trööööt. Der Busfahrer schimpft wie ein Rohrspatz, um dem verdutzten Händler dann gleich verständlich zu machen, dass er gerne zwei von den Früchten hätte. Der Händler versteht, reicht die Früchte durch das Fenster zum Fahrer herein. Bezahlen? Wo denn! In aller Ruhe darf er aber nun mit seinem Handwägelchen vor dem Bus die Straße queren…

Fahrer ansprechen während der Fahrt verboten? Wieso, nebenbei lässt sich doch schon lautstark diskutieren, telefonieren, oder was auch immer…

„Jerubus“ heißt die App, die ich mir für mein Iphone geladen habe. Das Teil ist genial und hilft etwas, das System zu durchschauen. Hier sind sogar die Zielorte aller Buslininen verzeichnet, was man an der Haltestelle vergeblich sucht – und am Bus einfach nicht lesen kann!

Busfahren mit  Iphone-Jerubus macht Spaß. Der kleine rote Kreis wandert immer auf dem Buslinienfahrplan mit, der sehr an den Münchner MVG-Plan erinnert. „So etwas habe ich schon lange gesucht“, meint Christine. Kannst du mir das mailen? Leider lässt Apple einen Ausdruck nicht zu.

Auf der Rücktour von Tel Aviv findet mein Handy das WiFi, mit dem der Egged-Bus ausgerüstet ist. Mei, die sind hier fortschrittlich!  Leider scheitere ich am hebräischen Portal, das mich zu irgendeiner Eingabe auffordert… So „eierig“ sind die Busse hier doch nicht.