Tisha B’Av, die zweite – oder: Warum ’sich ärgern‘ meistens wenig bringt…

Es ist immer noch Tisha B’Av. Der neunte des Monats. Die Fahrt in die Innenstadt mit dem Bus fordert mich an diesem Tag besonders. Besser gesagt, das Warten. Geschlagene 25 Minuten stehen wir an der Bushaltestelle bis der nächste Bus kommt. Der Fahrplan spricht von „etwa“ 10 Minuten. Warten, so merke ich, gehört nicht zu meinen ersten Gaben…

Dann verpassen wir noch die richtige Bushaltestelle zum Aussteigen… Heute geht einiges schief.

Zum Glück gibt es in der Ben Yehuda eine gute Eisdiele, wo wir uns erstmal „trösten“. Schnell lecken, sonst labt sich auch der Rock mit. Meine Tochter will ein Bild von Palmen haben, das sie als Desktophintergrund zur klimatischen Aufheiterung in D. verwenden möchte. Kein Problem. In Jerusalem gibt es genug davon. Und auch genug offene WiFis, um von überall Mails zu verschicken…

Unvermittelt werden wir auf der Straße auf Hebräisch angesprochen. Das ist – außer von Bettlern – eher ungewöhnlich. Ja, er nennt eindeutig den Namen unseres „besten jüdischen Freunds“. Diese Worte erkenne ich deutlich aus dem hebräischen Wortschwall heraus. Ich antworte auf Englisch. Wir lieben ihn auch! Ooh, gut, ob wir für ihn beten könnten? Ja, natürlich können wir das. Wofür denn? Gerade war jemand da, mit dem er gesprochen hätte, der bald mit ein paar Kumpels wiederkommen wolle, um ihn etwas „aufzumischen“. Ob wir dableiben sollen, fragen wir. Nein, Beten wäre gut und ausreichend.

Am Tor zum Jewish Quarter sehe ich ein mir bekanntes Gesicht. Woher wir uns kennen? Natürlich, Pater W. aus Augsburg. Er leitet eine Gruppe in der Charism. Erneuerung in Augsburg. Schnell werden alte Erinnerungen der Begegnung aufgefrischt und herzliche Grüße ausgetauscht. Wen man in dieser Stadt nicht alles trifft. Und wo! Und zu welchen Zeiten!

Zurück zum Thema: Tisha B’Av ist heute. Unsere ersten Erfahrungen hatten wir ja schon am Vorabend gemacht. So heißt das Ziel unseres heutigen Altstadtbesuchs wiederum Klagemauer. Den Security-Check lassen wir neben uns liegen und gehen ein wenig aufwärts in das jüdische Viertel, um von dort auf die Westmauer und den Platz davor herabzublicken.

Wie geführt, aber ungewollt, kommen wir mit einem aufgeschlossenen jungen Juden ins Gespräch. Aus Haifa stammend empfiehlt er uns die nicht so zahlreichen Sehenswürdigkeiten seiner Heimatstadt. Ja, die Stadt wollen wir auch noch besuchen. Wenn es denn klappt.

Gemeinsam blicken wir auf den reich bevölkerten Platz vor der Westmauer herab. An Tisha B’Av scheint „die ganze Stadt“ hier zu sein. In einem dichten Kreis haben sich viele Männer hingesetzt. Ihr inbrünstiger Gesang dringt zu uns herauf. Ob er denn auch religiös wäre, wollen wir von unserem Haifanischen Freund wissen. „Nein, ich reise durch Europa, esse alles, halte mich nicht an die religiösen Gesetze“. Er positioniert sich eindeutig. Aber es ist irgendwie leicht, ihm von „unserem besten jüdischen Freund“ zu erzählen. Unter anderem weil wir hier in diesem Land auf seine Spuren treffen, sind wir gerne hier. Wir lieben euer Land! Bevor wir uns verabschieden machen wir ein Foto. Nein, Namen haben wir nicht ausgetauscht, aber das ist auch nicht nötig.

10 Schekel Sicherheitsgebühr kostet der Besuch im AISH Hatora World Center. Hier finden viele religiöse jüdische Veranstaltungen statt. Irgendwie haben wir den Weg hierher gefunden. Ja, wir können jetzt auch das Dach besuchen. Oben angekommen verschlägt es uns fast den Atem. Die 20 Schekel sind bestens investiert. Der Ausblick auf den Platz vor der Klagemauer ist einzigartig. Dort drängen sich inzwischen immer mehr Menschen, der Gesang ist weitaus stärker geworden. Die langsam herabsinkende Sonne taucht die goldene Kuppel des Felsendoms in ein warmes Licht. „Isn’t the atmosphere here awesome?“ Eine ältere Dame aus Florida teilt uns ihre Gefühle mit. Die werden bei ihr aber nicht durch die goldene Kuppel sondern durch das ausgelöst, was heute vor der Mauer geschieht.

Das Modell des zweiten Tempels, das hier oben aufgebaut ist, lässt einen eine Vorstellung davon gewinnen, wie es hier ausgesehen haben mag – und wie es hier wieder aussehen könnte.

Wir gehen herunter zur Klagemauer. Kippas gibt es heute keine, deswegen kann ich nicht bis zur Mauer vorgehen und mache zunächst bei ein paar Fotos von der Menge. Dann erwische ich doch noch eine und versuche mich zur Mauer hin durchzuschlagen. Keine Chance. Ich gebe nach halbem Weg auf. Hier tritt man sich heute auf die Füße. Inmitten alldem intensive Gebete, manche auch etwas oberflächlicher und unkonzentriert. Auch die Spendensammler haben heute Hochkonjunktur.

Ich stelle mich in den Kreis der „Sänger“. Viele sitzen auf dem Steinboden. Noch immer sind sie engagiert im Gesang.  Viele sind innerlich stark engagiert, das ist unschwer zu erkennen. Ohne Leiter. Ohne Organisation. Ohne Zeitdruck. Einfach singen. Für wie lange? Keine Ahnung, aber es ist eine gefühlt lange Zeit. Irgendwann löst sich die Gruppe auf.

Es ist dunkel geworden. Wir wollen noch einmal versuchen auf das Dach zu kommen. Der Sicherheitsinspektor akzeptiert unsere 10-Schekel-Quittungen für einen zweiten Eintritt und so sind wir schnell wieder oben. Die Dunkelheit lässt den Platz wiederum in eine ganz andere Atmosphäre eintauchen als noch vor einer Stunde. Leider habe ich heute meinen Kamera-Akku nicht ausreichend geladen, so droht der bei 194 Bildern seine Dienste zu versagen…

Busfahren oder Laufen? Wir entscheiden uns für den Heimweg heute für letztere Variante. Bewegung tut gut, auch in Jerusalem. Fast an unserem Quartier angekommen werden wir von hinten an einer Bushaltestelle angesprochen. Es ist Frau K., die wir vor ein paar Tagen kennengelernt hatten…

Ich bin versöhnt. Den „Ärger“ über den auf der Hintour nicht kommenden Bus hätte ich mir besser gespart. Ich glaube nicht, dass wir sonst all den Menschen begegnet wären, mit denen wir heute Erfahrungen gemacht haben…

Tisha B’Av – Fasten für den Tempel

Montagmorgen. Yehuda Markt in Jerusalem. Vor unserer Busfahrt nach Netanya kaufen wir noch ein wenig ein. Brot und etwas Melone haben wir uns ausgedacht. Das reicht als Snack für den Strand. Bei der Hitze hat man sowieso keinen Hunger.

„Wozu hast du denn 10 Sesamstangen gekauft?“ Die beste Ehefrau von allen bringt es mal wieder auf den Punkt. Ja, warum eigentlich? Am Abend vorher waren wir auf dem Markt gewesen und hatten uns nach dem Gottesdienst so ein stangenähnliches Brötchen reingeschoben. Das hatte super geschmeckt. Also kaufe ich gleich 10 für diesen ganzen langen Tag. Man weiß ja nie. Außerdem, so hatte ich am Vorabend gelernt, sind sie zu zehnt im Sonderangebot zu haben…. Sieben Schekel, ungefähr 1,40 EUR.

Der Tag am Strand in Netanya ist wunderbar. Wir haben ein schattiges Plätzchen unter den Sonnendächern, die es überall am Strand gibt. Von dort kann man sich immer wieder in die Sonne und in das Wasser wagen. Wir bleiben den ganzen Tag über dort.

Den Sonnenuntergang am Strand genießen wir besonders. Das Fotografenherz schlägt eindeutig schneller. Sogar bei meiner Frau mit ihrer Digi-Cam.

Auf dem Weg zum Strand hatten wir viele schöne Restaurants und Imbissstände gesehen. Also, kein Problem, da können wir am Abend, wenn wir wieder zur Central Bus Station gehen, noch schön etwas essen und dann gemütlich nach Jerusalem zurückfahren.

Soweit die Vorstellung der unbedarften deutschen Touristen.

Reisen bildet. Ungemein!  Man lernt auch die Feiertage eines Landes kennen. Heute ist so einer, hatte man uns am Morgen gesagt. Aber die Busse fahren alle und auch alle Geschäfte haben geöffnet. Na, also, kein Problem.

Tisha B’ Av. Schon mal gehört? Nein, ich bisher nicht wirklich. Ein israelischer Feiertag, der an die Zerstörung beider Tempel und an andere nationale Ereignisse  erinnert. An diesem Tag fasten die orthodoxen Juden, die „weltlichen“ Israelis nicht. Man geht zur Klagemauer und liest das Buch der Klagelieder.

Tisha B’Av fängt, wie der Schabbat, am Vorabend an, also am 8. August. Ja, in Augsburg ist am 8. August das Friedensfest, da sind die Touristen auch immer ganz überrascht, wenn die ganze Stadt geschlossen hat, die einzige in der ganzen Republik an diesem Tag…

Wir kommen also gegen 20 Uhr vom Strand, um noch etwas zu essen. Der Sonnenuntergang hat uns lange am Strand gehalten und nicht wenig fasziniert.

Sorry, wir haben Tisha B’Av. Alles dicht!  Unfreiwilliges Fasten für den Tempel ist also angesagt. Irgendwo werden wir schon noch etwas zu essen kriegen…

Na, klar dann gleich zum Busbahnhof. Dort gibt es doch, so erinnere ich mich, das gelbe M, diesmal in der Variante auf roten Grund. Die werden uns sicher nicht im Stich lassen. Ja, da sitzen noch Leute drin, wie gut…

Die Erfahrung gemäß Offenbarung 3,20 müssen wir auch hier machen. Vor der Tür und anklopfend…

Die vollelektronischen Anzeigetafeln am Busbahnhof sind in Netanya alle nur auf Hebräisch. Außergewöhnlich. Aber so viel erkennen wir: kein Bus nach Jerusalem zu sehen. Die feiern hier doch wohl nicht auch noch das Tisha-Fest ohne Bus nach Jerusalem? Meine Frau sucht in Gedanken schon ein Hotel aus. Ich erwäge in der Sleep-in-Zone an der Strandpromenade nachzufragen…

Linie 947 – er kommt. Stein-vom-Herzen-Fall. Diesmal geht an Bord sogar das WLAN, so dass ich mich bei Google über Thisha B’Av informieren kann. Alle Geschäfte haben am Vorabend geschlossen, auch alle Bars und Restaurants, sagt die allwissende Internet-Krake, Da haben wir’s. Selbst das gelbe M bildet keine Ausnahme.

„Wir haben noch genau fünf Sesam-Brötchen übrig“. Wie gut! Das Buddeln im Rucksack zwischen den nassen Badesachen und unserer „Mexico-Decke“, die schon viele Länder mit uns gesehen hat,  ist erfolgreich. Fastenspeise! Wir teilen „brüderlich“, drei zu zwei… Die zwei Fische suche ich im Rucksack vergeblich. Leider keine eingepackt.

Der kleine Laden bei uns um die Ecke hat um 23:30 Uhr noch auf. Scheinbar kein Tisha B’Av. Dort kaufe ich eine Dose Thunfisch. Daheim angekommen habe ich dann aber auch darauf keinen Hunger mehr.

Reisen bildet. Ungemein! Jedenfalls weiß ich jetzt, was Tisha B’Av ist –  und was es in der Praxis bedeutet…

Wellenreite(r/n)

Netanya. Wir sind das erste Mal hier. Die Sonne schafft es auch heute wieder zu mediteranen Höchstleistungen. Auch hierher hat der Egged-Bus uns problemlos gebracht. Am Strand genießen wir die Erholung, Wellen und die Sonne. Ipad mit Bluetooth-Tastatur machen das Bloggen im Jahr 2011 auch am Strand möglich…

Der Strand in Netanya wird von einer Steilküste begrenzt. Hier entstehen warme Aufwinde. Unzählige Gleitschirmflieger nutzen sie und können den Hotelgästen – so scheint es – in die Zimmer gucken.

Die Wellen des Mittelmeers sind ein echtes Erlebnis. Man kann sich gegen die Welle stellen, dann haut sie einen um. Mann kann durch die Welle durchtauchen, dann wird sie zur Herausforderung, man kann auf der Welle schwimmen, „reiten“ oder die Energie ausnutzen – dann wird sie zum Erlebnis. In Mengen sind die jungen Leute mit ihren Surfbrettern an den Strand gekommen, um dieses Erlebnis auszunutzen.

Man muss den Scheitel der Welle ausnutzen, um richtig Fahrt drauf zu kriegen. Es kitzelt mich in den Füßen, mich auch mal auf so ein Brett zu stellen. Da schwimmt eins ohne Besitzer. Ich „fange“ es ein. Der junge Mann, der von seinem Brett getrennt wurde, taucht Augenblicke später aus der sich glättenden Woge auf und nimmt es dankbar von mir in Empfang. Wenige Minuten später dasselbe Spielchen. Diesmal kann ich das Brett nicht „einfangen“. Na, ganz so einfach scheint es doch nicht zu ein.

Die Wellen des Lebens sind manchmal hoch, wie hier in Netanya. Stelle ich mich gegen sie? Schaffe ich es, „hindurchzutauchen“? Oder gelingt es mir, die Welle des Lebens zum Erlebnis zu machen? Man muss Mut haben sich entsprechend zu entscheiden.

Richtig, Das Wasser im Lebensmeer hat nicht immer die Badewannentemperatur, die es hier in Netanya hat. Da will man gar nicht raus aus dem Erlebnis!

Jede Herausforderung des Lebens kann zu einem Erlebnis und zum Segen werden. Es kommt immer darauf an, mit welcher „Haltung“ wir an etwas herangehen.

Stell dich der Welle nicht entgegen und lass dich nicht von ihr umwerfen!

„Dobre dien“ in der „Sleep-in-Zone“

Dobre dien – doswidanje! Irgendwie kommt mir die Sprachmelodie sehr bekannt vor. Die dominierende Sprache um uns herum am Strand und besonders auf der Promenade von Netanya ist nicht Hebräisch, sondern Russisch. Schilder sind hier nicht selten in drei Sprachen zu finden. Hebräisch, Englisch (danke!) und Russisch.

Das Land Israel hat viele Herausforderungen. Das „Ungeliebtsein“ von den Nachbarn schaukelt sich oft mit Reaktionen auf israelischer Seite gegen arabische Leute hoch. Es ist wie ein „Teufelskreis“. Dieser Kreis kann nur durch die Liebe Gottes durchbrochen werden.

Dazu kommt die Herausforderung der Integration vieler neuer Einwanderer, besonders die aus der ehem. Sowjetunion. Andere Kultur, andere Sprache, andere Gewohnheiten!

Neue Menschen brauchen mehr Wohnungen. Die wachsen bekanntlich nicht an Bäumen.

Der stumme Protest gegen die Wohnungsnot macht sich überall im Land Raum. An der Strandpromenade von Netanya prangt ein großes Zelt neben den kleinen silbernen Iglu-Zelten: Sleep-in-Zone. Wenn es denn Urlaub wäre, wäre es ja noch nett. Allein von den Bildern der „Zeltstädte“, die überall im Lande zu finden sind, könnte ich eine ganze Galerie füllen.

Die Proteste im Land haben sich von den erfolgreichen Protesten der arabischen Nachbarn inspirieren lassen, so glauben die Medien. Aber eben eindeutig friedlich. Davon können wir uns selbst ein Bild machen.

Es ist gut für die Menschen in diesem Land und ihre Herausforderungen zu beten.