Keiner will sie haben

Yad Vashem. Die Konfrontation mit den unrühmlichen Untaten deutscher Vernichtungsakribie kann einem nur die Schamesröte neu ins Gesicht treiben. Sechs Millionen! Die grauenvollen Aktivitäten der sogenannten „Sondereinsatzgruppen“ in den Ostgebieten werden mir historisch neu bewusst.

Das Museum über die Geschichte des Holocausts ist neu gestaltet. Bei unserem ersten Besuch im Jahr 2000 war es noch nicht da. Gut, modern und emotional nahegehend ist es aufgebaut, aber trotzdem dezent und würdevoll.

„Die jungen Leute müssen sich hier selbst ihr Bild machen“. Im „Valley of the communities“ treffen wir einen redseligen Vater aus Sachsen-Anhalt, der mit seinen Kids auf einem selbstorganisierten Trip durch Israel ist. „Nur der Kleeene kann Englisch, aber wir kommen auch mit Deutsch sehr gut durch“. Auch sie haben ihre Reise kurzfristig organisiert. „Bei uns im Osten gibt es viel ungutes rechtes Gedankengut“, ist er besorgt. „Gegen diese „Dummköppe“ muss man etwas tun. Ich leiste für meine Kinder meinen Beitrag.“ Aus der kurzen Begegnung wächst ein längeres Gespräch, das bei dem Denkmal für die Deportierten – ein ehemaliger Waggon der Deutschen Reichsbahn – seine Fortsetzung findet. Petra kann in dieses Gespräch viele gute Aspekte einfließen lassen. Auch keine zufällige Begegnung!

Auf dem Weg zurück nehmen wir den Fußweg, der Yad Vashem mit dem Herzl-Park auf dem Herzl-Berg verbindet. Jugendliche haben diesen Weg mit eigenen Händen gebaut. Die Staatsgründung von Israel ist hier in Kurzform dokumentiert. Wir verweilen an den Gräbern von Golda Meir, Ytzak Rabin und Theodor Hertzl, dem Visionär für einen Staat Israel.

Von überall wurden die Juden deportiert, wegtransportiert. Dass auch Amerika sich geweigert hat, während des Hitler-Regimes Flüchtlinge aufzunehmen, war mir aus der Geschichtskenntnis nicht mehr gegenwärtig. Und selbst in Eretz Israel waren die einwandernden jüdischen Überlebenden unerwünscht. Als „illegal“ sah man ihr Einwandern an. Auf Zypern mussten sie in Camps – eben den Nazi-Camps entronnen – einem neuen ungewissen Schicksal entgegen sehen.

Keiner wollte und will sie haben. Das Einwandern der Juden führt mit zum Ende des Mandats der Briten über Palästina. Den neuen Konflikten wollten sie ausweichen. Deutschland wollte sie per „Endlösung“ völlig ausmerzen. Andere Länder weigerten sich zur Aufnahme der Juden. Auch heute sind sie angegriffen, umhergeworfen, unerwünscht, angefeindet. Ob es ein Herr Ahmadinedschad ist, der Israel ins Mittelmeer versenken möchte, die sog. Gaza-Flottille oder andere. Das macht nachdenklich. Israel ist immer für eine Aufregung gut, scheinbar egal was hier geschieht!

„Und ich will segnen, die dich segnen, und wer dir flucht, den werde ich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde!“ – Die Verheißung für Abraham gilt für das Volk Israel auch noch heute.

Segnen fängt im Denken an, prägt unser Reden und wirkt sich in unserem Handeln aus. Dazu tut das Hiersein gut. Man überdenkt, reflektiert, orientiert sich neu. Welch ein Segen, diese Zeit hier in diesem Land zu haben.

Gilad is alive oder: Ein freier Stuhl für Gilad Schalit

In Jerusalem wird demonstriert. Viel. Überall. Ebenso an anderen Orten im Land. Nein, Demos im herkömmlichen Sinne eigentlich weniger. Wohnungsnotstand, Ärztestreik wegen niedriger Löhne – das sind Themen, die die Menschen bewegen.

Im Vorbeigehen lasse ich das Wohnungsnotstand – Zeltlager im Independance-Park auf mich wirken, Volksküche inklusive. Es ist ein Lager von vielen. Der Rasensprenger eignet sich hervorragend, um die Karotten für das Mittagessen zu waschen. Das Planschbecken hält als „Volksbadewanne“ her, mit Sonnenschutz.

300 Meter oberhalb haben die Aktivisten für Gilad Schalit ihr Domizil am Straßenrand aufgeschlagen. Auch hier wird demonstriert, aber anders. 1864 plus x Tage ist Gilad mittlerweile in den Händen der Hamas, so heißt es. Ob er noch lebt, fragen wir einen der Volontäre am Stand? „Ja, wir glauben es“. Er drückt uns einen Aufkleber zum Mitnehmen in die Hand. „Gilad is alive“ – in Israel-Blau gedruckt. Dazu ein paar gelbe Bänder. Was wir damit tun sollen? Irgendwo anbinden, ans Auto, an einen Baum und sich dadurch bekennen.

Ob Gilad dadurch freikommt? „Wir tun für ihn, was wir können“. Der Volontär ist zuversichtlich. „Wir unterstützen die Familie, stehen hinter ihnen, helfen ihnen.“ Ob er Gilad persönlich kennt? Nein. Aber der Einzelne ist in diesem Land wichtig. Die letzte Lebensnachricht von Gilad stammt aus dem Jahr 2009.

Gilad ist zum nationalen Symbol geworden. Man will sich dem Druck und der Erpressung nicht beugen, aber auch ihn nicht vergessen. Dafür setzen sich die Menschen ein. Der Stand ist, obwohl fast in einer eher unbedeutenden Straße, immer umlagert. Später erfahre ich, warum der Stand gerade hier aufgebaut ist: Das Domizil des Ministerpräsdidenten befindet sich gleich um die Ecke. Er soll immer wieder mit diesem Problem konfrontiert werden. Auf der Pinnwand werden Bekundungen des Mitgefühls geschrieben.

Im Pavillon der Aktivisten kann man sich auf Stühlen niederlassen und reden. Nein, aber bitte nicht auf diesem. Der ist für Gilad reserviert. Der bleibt immer frei. Welche eine Symbolik, welch ein Ausdruck von Hoffnung.

Ein Fernsehteam dreht einen Beitrag über Gilad und die Gerüchte der letzten Tage um einen möglichen Gefangenenaustausch. Ob ich mich dazu äußern möchte? Ich halte es für weiser mich an dieser Stelle bedeckt zu halten und keine Aussage vor der Kamera zu machen…

In der messianischen Gemeinde, die wir besuchen, wird auch für Gilad gebetet. Mögen die Gebete erhört werden.

Der blaue Ronald

Fish & Chips auf dem Yehuda-Markt in der Yafo-Street. Natürlich Kosher. Unser Tag ist gerettet! Egal, was es kostet, das essen wir! Die beste Ehefrau von allen hat entschieden, ich folge nicht unwillig!

Gleich neben der Theke prangt das Kosher-Zertifikat. Das Oberrabbinat hat es auch hier erteilt. Was das genau bedeutet, weiß ich auch nicht. Die Fritten und der Fisch sind nicht wesentlich anders, als bei uns. Egal. Hauptsache es schmeckt.

Eingelegte Oliven, Feigen, Schafskäse, Schwarma, Fallaffel, getrocknete Aprikosen – der ostpreußisch geprägten Küche meiner Mutter waren all diese Köstlichkeiten so fern wie der Südpol. Beim Gang durch den Schuk steigen einem die Düfte der Gewürze nur so in die Nase. Die künstlerischen Bauwerke der Gewürzverkäufer mit ihren Waren sind echt kreativ. Petra kommt daran nicht vorbei. OK, das Gewürz für die Tomaten erhält in der ehelichen Einkaufsabstimmung eindeutig zwei Stimmen, aber beim Kardamon hört die Freundschaft wirklich auf. Das kommt bei mir gleich nach Knoblauch… :-). Der Kauf geht auch mit einer Stimme über die Bühne…

Überall auf der Welt sind die Schilder der amerikanischen Botschaft rot – mit gelbem Doppel-Torbogen. Die roten gibt’s hier natürlich auch. Wie überall auf der Welt ist der Kaffee hier einigermaßen bezahlbar – und das Eis auch. Germany lässt grüßen. Vorher wird auch hier der Rucksack durchsucht, wie in fast allen größeren Geschäften und Einrichtungen.

Aber daneben gibt es noch die koshere Variante der amerikanischen Freunde junger Familien. Am zentralen Busbahnhof habe ich nur Zeit, ein Foto zu machen. Die sportliche Aufgabe der nächsten Tage wird sein, herauszufinden, was genau der Unterschied zwischen dem roten und dem blauen Ronald ist.