Der Gebetsanliegenfeger

Wir lieben sie, die Klagemauer. Immer wieder sind wir während dieser Tage hier. Einfach dort sein, ein wenig abschalten, reflektieren, beten, beobachten. Ob Gott hier die Gebete besser hört? Der Jerusalem-Faktor mit besonderer Online-Schaltung? Keineswegs!

Aber der Ort ist trotzdem liebenswert für uns! Und er tut gut! Es hat etwas, hier ein paar Momente zu verweilen und zu beten. Schade nur, dass meine Frau in die „Frauenabteilung“ gehen muss. Eine Kippa aufsetzen? Kein Problem. Man kann sie sogar sammeln! Ich jedenfalls habe schon ein paar von den verschiedenen Besuchen. Die aktuellen Kippas aus Stoff mit dem Aufdruck „Western Wall Heritage“, die man sich hier frei nehmen kann, haben echten Souvenircharakter.  Sie halten auf meinen weniger werdenden Haaren sogar sehr gut. Vor zwei Jahren gab es Kippas aus Pappe. Der Jerusalemer Wind hat sie mir immer vom Kopf gefegt. Damals hieß es dann ‚Beten mit Handauflegung“ – auf den eigenen Kopf, versteht sich.

Ob tagsüber in der prallen Sonne oder abends – beleuchtet von grellen Scheinwerfern – hier ist immer etwas los. Abends natürlich mehr!

Die frommen Juden und vor allem die Touristen schreiben ihre Gebetsanliegen auf Zettel, die in die Wand gesteckt werden. Rabbi Pesach Raymon Yeshiva aus New Jersey in den USA hat gleich einen ganzen Umschlag voller Anliegen geschickt. Ich drücke ihn etwas beiseite, um den Aufdruck lesen zu können. Plumps. Da liegt er auf dem Boden. Ich hebe den Umschlag wieder auf und „befestige“ ihn in der Mauerspalte.

Was wird wohl mit den Zetteln gemacht, wenn sie herunterfallen oder es zu viele werden? Auf dem Boden liegen nämlich viele Zettel herum. „Die werden beerdigt“, raunt mir eine ältere Dame später bei einer anderen Gelegenheit ehrfurchtsvoll zu. Wirklich?

Der Western-Wall-Reinigungsdienst weckt mich aus meinen Gedanken. Stühle aufeinander stapeln, Gebetsbücher weg, Lesepulte wegräumen, Müll zusammenkehren. Müll? Das sind ja die Zettel mit den Gebetsanliegen, die da zusammengekehrt und in die Mülltonne geworfen werden. Nachdem ich den Reinigungsdienst fotografiert habe, deutet er mir an, dass er das nicht möchte. Das kann ich verstehen und veröffentliche das Foto deswegen hier nicht.

Wie gut, dass Gebete bei Gott nicht von Zetteln abhängig sind, sondern von unserem Herzen. Aufrichtig, das ist wichtig! So sind für ihn auch die „nichtbeerdigten“ Zettel in der Tonne des „Gebetsanliegenfegers“ kein Problem…

Wie gut!