Wirklich unangenehm

Die Grabeskirche hatten wir vor zwei Jahren ausgelassen. Diesmal sind wir wieder da. Ein Ort, an dem ich mich nicht sonderlich wohlfühle, obwohl er zum Standarprogramm fast aller „Pilger“-Gruppen gehört. Der religiöse Jahrmarkt ist hier unübersehbar. An jeder Ecke eine andere „christliche Tradition“. Hier haben die Russisch-Orthodoxen ihre Ikonen, die von den Besuchern liebevoll geküsst werden, dort haben die Griechisch-Orthodoxen ihre vermeintliche Grabeskammer. Weihrauchfäßchen reihenweise, Kerzen und Relikte hier und dort.

„The tomb of Jesus“, flüstert jemand einer fragenden Besucherin ins Ohr, auf die Frage, was man denn hier besichtigen könnte. Wirklich? Die einzelnen „Gräber“ sind dem Stil der hier vertretenen Kirche angepasst. Hier, so scheint es, hat sich jeder seine eigene religiöse Welt gebaut.

Menschen kommen, knien nieder, drücken ihre Ehrfurcht mit Küssen, Ergebenheit, Kerzen und Niederknien auf alle möglich Weise aus. Erschreckend ist die Ähnlichkeit, die in meine Erinnerung kommt. Nicht viel anders hatten wir es in China erlebt, als wir Menschen beim Besuch des Shinto-Tempels beobachteten…

Hat Jesus das wirklich gewollt? Religion? Verehrung von Äußerlichkeiten?  Er ist gekommen, um Menschen in Freiheit hineinzuführen und nicht in äußerliche religiöse Traktionen zu verwickeln.

Es reicht uns. Schnell hat das Getriebe des Shuks in der Altstadt von Jerusalem uns wieder.

Abraham und das Schaf vom Himmel

Die biblische Kunstausstellung – open air – unterhalb des Jaffa Gates ist besonders reizvoll. Mamilla Mall nennt sich dieser wirklich geschmackvoll angelegte Teil von Jerusalem. Licht, Kunst, Musik geben besonders abends zwischen den Geschäften ein tolles Ambiente. „For sale“ prangt an jedem Kunstwerk. Halb Jerusalem, so scheint es, flaniert hier an lauen Abenden.

Delilah schneidet Simson die Haare ab, Mose hält die Gesetzestafeln hoch, Jakob schläft an der Himmelsleiter, die Bundeslade in Originalgröße mit den vergoldeten Cherubinen. Besonders angetan hat es mir das Kunstwerk über Abrahams angesetzter Opferung von Isaak. Wenn Abraham es hier mit über 100 Jahren raufgeschafft hat, warum wir nicht, meint meine Frau. Recht hat sie. In Jerusalem geht es halt auf und ab, daran muss man sich gewöhnen. Nicht auf dem Berg Morija, sondern in der Mamilla Mall steht dieses bemerkenswerte Kunstwerk.

Der Künstler hat ausdrucksstark getroffen, was die Abraham-Familie bewegt haben mag. Das Messer am Hals von Issak, angstvoll sein Gesicht, ein Engel fliegt vom Himmel herab und bringt ein Schaf  vom Himmel herunter. Nein, ganz so steht es nicht in der Bibel, aber getroffen hat er die Situation wirklich gut, wie „himmlisches Eingreifen“ Veränderung gebracht hat.

Dieses himmlische Eingreifen brauchen wir auch heute.

Asymmetrisch singen in Bethesda

„Unsere Kirche eignet sich hervorragend zum Singen“, meint Michel, ganz in weiß gekleidet. Über der Kirche weht die französische Flagge, an seinem Akzent im Englischen merkt man, dass die frankophone Welt sein Hintergrund ist. Ungefähr 70 ist er. Sein Kollege aus England begrüßt uns freundlich in der Kirche St. Anna mit dem Teich Bethesda und „verwickelt“ uns in eine angeregte Unterhaltung. Woher wir denn kommen? Ja, Germany, Bayern.  Ob wir das erste Mal in Jerusalem sind?

„Dann macht ihr Urlaub, wie der Geist euch leitet?“ Ja, so kann man das fast sagen. Pfingstler? Na, klar ist ihm das ein guter Begriff. „Heißt das in Deutschland auch Assemblies of God“? Nein, heißt es nicht. „Aber nun geht erstmal, um unser Gelände anzuschauen, in wenigen Minuten schließen wir.“

Bethesda hatte ich mir eigentlich anders vorgestellt. Bei den vergangenen Besuchen in Jerusalem waren wir hier immer nur vorbeigegangen, aber jetzt schauen wir rein. „Jetzt kann ich verstehen, warum der Kranke in Johannes 5 keine Chance hatte, zum Wasser zu kommen, wenn es sich bewegt. Die beste Ehefrau von allen klettert tief nach unten und untersucht die römische Zisterne. Biblische Geschichte wird lebendig. Der kleine Flyer mit Erklärungen in deutscher Sprache tut seinen Teil dazu.

Ja, es steht ja wirklich in der Bibel etwas drin von den fünf Säulenhallen, von denen man hier die Überreste besichtigen kann. Man überträgt die Vorstellung der biblischen Geschichten immer in seine eigene Kultur. Bei „Teich“ hatte ich immer eher an „Gartenteich“ im deutschen Sinne gedacht. Leider Fehlanzeige.

„How great is our God“. Die Akustik in St. Anna ist wirklich ausgezeichnet. Zur Wiederholung kommt Michelle herein. Er erklärt uns, warum das so ist. „Sie ist leicht unsymmetrisch gebaut, ganz bewusst. Deswegen kommen die Reflexionen unregelmäßig und verstärken deine Stimme.“ Aha, so ist das also.  Asymmetrie macht das Leben manchmal besser.

Welch eine Weisheit.

„Alle sind besorgt wegen des Septembers“. Das Gespräch mit Michel zieht sich sehr lange hin. „Ich habe hier den Schlüssel“, beruhigt er uns. Von Schließen ist keine Rede mehr.  „Letztlich verliert doch immer der kleine Mann auf der Straße“, konstatiert er. „Nach der zweiten Intifada ist die Zahl der jährlichen Touristen bei uns von 200.000 auf 18.000 gefallen. Jetzt sind wir wieder bei 400.000. Die Geschäfte gehen auf den Märkten schlecht, wenn etwas passiert.“ Es treibt die Menschen umher, man spürt eine gewisse Angst. Was wird im September sein? Wird es eine Resolution der UN geben? Wird einseitig ein Staat Palästina ausgerufen? „Das wird nicht funktionieren“, meint Michel und rät uns gleichzeitig, unseren abendlichen Ölbergbesuch zu verschieben. „Die Araber da oben sind abends nicht die frömmsten“. Wir nehmen seine Warnung ernst. „Ich werfe die Führerscheine, die wir in den leeren Geldbörsen finden, jetzt immer in den Briefkasten. Früher habe ich sie aus Fürsorge zur Polizei gebracht, aber dann haben sie mich immer stundenlang interviewt. Das muss ich mir nicht mehr geben“. Woher die Geldbörsen sind, will ich wissen? „Nun ja, wir finden sie immer in oder hinter unseren Grenzmauern.“

Betesda liegt im arabischen Teil von Alt-Jerusalem. Bis 1967 war es unter jordanischer Herrschaft.

Manchmal kommt es anders…

Anfang Juli schwitze ich über der August-Ausgabe von GEISTbewegt!, dem Monatsmagazin unseres Gemeindebundes. Das Thema steht schon seit April fest: Der Auftrag der Gemeinde an Israel. Dr. Jürgen Bühler war im Januar bei uns in München zu Besuch gewesen und hatte über die Berufung von Israel, aber auch über den Auftrag der Gemeinde gesprochen. Das hatte mich inspiriert, dieses Thema in unser Redaktionsteam einzubringen. Es fand einhellige Zustimmung.

Wie so oft, kam der Juli mit dem Redaktionsschluss schneller als erwartet…

Wer GEISTbewegt! in den Koffer zu einer Israel-Reise packt, den würden wir als Redaktionsteam gern begleiten…  formuliere ich den letzten Satz des Editorials. Zu diesem Zeitpunkt habe ich noch keine Ahnung, wo wir Anfang August sein werden. Ja, angedacht hatten wir einen Besuch bei C. in Jerusalem, aber die Flugpreise Anfang August ließen die Planungen in unerreichbare Ferne rücken. Aber wir hatten dafür gebetet, dass Gott uns führt, was in diesem Sommer „dran“ ist.

Dann eine unscheinbare eMail mit dem Hinweis, dass die Preise in greifbare Nähe rücken würden. Innerhalb von 24 Stunden ist es dann entschieden: wir fliegen. Kaum gebucht sind die Preise wieder oben.

Manchmal kommt es anders, als geplant. Ich finde es spannend mit Gott zu leben und sich führen zu lassen.


GEISTbewegt! im August: Der Auftrag der Gemeinde an Israel

02.08.2011

Geistbewegt Titelseite August 2011„Ist eure Gemeinde Israel-freundlich?“ Fast irritiert blicke ich mein Gegenüber an. „Habt ihr denn einen Israel-Gebetskreis? Macht ihr Passah-Feiern? Wird bei euch das Schofar-Horn geblasen? Finanziert ihr messianische Gemeinden?“ In solchen Gesprächen kann sich das Thema Israel schnell zum „Zankapfel“ entwickeln. Das gilt nicht nur in der weltpolitischen Szene, wo das Thema Israel immer wieder für eine Aufregung gut ist. „Taumelbecher für die Völker ringsum“ sei Jerusalem, kommentiert der Prophet Sacharja (Sach 12,2). Ja, auch unter Gläubigen kommt es zu emotionalen Auseinandersetzungen. Was den einen schon mehr als zu viel ist, ist den anderen viel zu wenig. Diese Ausgabe von GEISTbewegt! haben wir dem Thema „Unser Auftrag an Israel“ gewidmet.

Dr. Jürgen Bühler stellte in einer Konferenz im Februar in München dar, was die Berufung von Israel ist und dass wir als Gemeinde ihre „Schuldner“ sind. Deshalb empfehlen wir, beim Lesen mit Seite 4 zu beginnen. Wie kann der Auftrag praktisch werden? Wie ist die Situation der messianischen Gemeinden? Wie lebt es sich als Pfingstpastor, der in Nazareth geboren ist, in Deutschland? Welche Initiativen gibt es bei uns, über die ich etwas praktisch tun kann?  (…) 

Wer GEISTbewegt! im Liegestuhl im Garten oder am Urlaubsort liest, dem wünschen wir entspannte Tage. Wer GEISTbewegt! in den Koffer zu einer Israel-Reise packt, den würden wir als Redaktionsteam gern begleiten …

Mehr bei www.geistbewegt.de

Auch Paulus war vergesslich…

Ich bin manchmal vergesslich. Ob’s an der 5 vorne liegt? Ich weiß es nicht. Im ELAL-Flieger lasse ich sie im Handgepäckfach liegen: meine rote Jacke. Lange hat sie mich begleitet. Als es mir einfällt, wäre sie vielleicht noch mit großer Mühe wieder zu haben gewesen, aber Jerusalem hat ja auch Geschäfte. Es ist einfach Zeit für etwas Neues.

Und außerdem ist es hier so warm, dass man Jacken fast nicht braucht. Doch, manchmal, wenn der abendliche Wind durch die Häuser pfeift und man ein wenig durchgeschwitzt ist, braucht man sie doch, die Jacke.

Paulus vergaß auch mal seinen Mantel. In Troas. Bei Karpus (2. Tim. 4,13). Zum Glück hatte er Timotheus, der ihn bringen konnte. Den haben wir hier leider nicht dabei. Ich sehe es fast mehr als Führung. Eine neue Jacke wäre sowieso fällig gewesen. Manchmal muss man etwas vergessen, hinter sich lassen, um zu etwas Neuem zu gelangen. Auch das kommt mir von Paulus nicht unbekannt vor.

In diesem Sinne bin ich gerne vergesslich…

Jerusalem hat uns wieder. Ja, der große Apostel war hier auch. Damals gab’s noch kein Internet, in dem man hätte bloggen können. Er hätte es sicher auch gemacht.

In der Altstadt finde ich mich am ersten Abend auf Anhieb ohne Karte wieder zurecht. Die Muslime strömen aus irgendeiner Moschee gegen 23 Uhr noch gen Damaskus-Gate. Ramadan hat begonnen. Die arabischen Kinder nebenan nutzen den auf Abfuhr wartenden Müll des Tages zu einer kleinen Straßenschlacht, in die wir fast verwickelt werden.  Beim ersten Deal der Reise zahlen wir zu viel. Sei’s d’rum. Das ist halt auch Jerusalem.

An der Klagemauer sitzen und von den eifrig betenden Juden selbst zum Gebet inspiriert zu werden, ist einfach klasse. Da die Frauen eine separate Abteilung haben, haben wir einen Treffpunkt ausgemacht. Die Zeit bis zum Treffen vergeht viel zu schnell, finde ich.

„Die Rabbis haben ihr Gebet schon erledigt“, hatte meine bessere Hälfte die an der Wand am Münchner Flughafen Betenden kommentiert. Laut und ungeniert, wie auch hier an der Klagemauer. Das Gebet schwillt an. „Amen, Amen“ wird das Gebet durch die anderen spontan kommentiert. Niemand stört sich, dass ich anders bin. Ein respektvolles Nebeneinander, so lange man selbst zu Respekt bereit ist. Auch das ist Israel.

Auf der Toilette im Münchner Flughafen treffe ich Reuven aus der Nähe von Tel Aviv. Früher Delegierter vom KKL ist er jetzt für SOS-Kinderdörfer unterwegs. Wir kennen uns etliche Jahre. „Ruf mich gerne an, wenn du in Israel bist, ich stehe dir zur Verfügung“, konstatiert er.

Mal sehen, was diese, so ungeplant über uns hereingebrochene Reise alles bringen wird…