„Dobre utra“. Es ist 5.20 Uhr, die Schaffnerin des Zuges Minsk-Moskau klopft freundlich an die Abteiltür. „Guten Morgen, aufstehen, gleich sind wir in Moskau“, soll das heißen. Richtig gemütlich ist es hier, finde ich. Bettlaken, Strom zum Handyladen und Chai-Service am Morgen, 25 cent extra, 10 Rubel. Der Chai tut gut. I. aus Smolensk hat mir noch Käse und Brot mitgegeben.
Zum Durchatmen bin ich in den letzten Tagen nicht gekommen, dazu habe ich heute in meinem „Büro“ auf dem Flughafen in Moskau etwas Zeit. Ich denke an meinen ersten Aufenthalt in Moskau zurück, damals war das noch richtig abenteuerlich. Heute ist hier alles topmodern, die russischen Freunde sind in der Technologie ganz vorne dran. Der kostenfreie Internetzugang am Airport unterscheidet sich kaum von unserem Münchner Anschluss. So kann ich meine Facebookfreunde an der nächtlichen Zugfahrt teilhaben lassen. „Gefällt mir“ – kaum hochgeladen, schon geliked…
Und der neue Aeroexpress, der mich vom weißrussischen Bahnhof nach Scheremetjovo bringt, ist auch eine echte Wucht. Perfekte Beschreibungen in Englisch und Russisch, man fühlt sich nicht unsicher. Was früher Stunden in Anspruch nahm, geht jetzt in 35 Minuten. Meine touristischen Bedürfnisse bezüglich Moskau sind ausreichend gestillt, zumal ich mich um den Roten Platz schon ohne Karte zurechtfinde. Mein Nachbar aus meinem Heimatdorf, den ich heute hier in Moskau eigentlich besuchen will, muss kurzfristig nach Deutschland, da es seiner Mutter, unserer direkten Nachbarin daheim, gar nicht gut geht. Ich wähle also den Flughafen…
So habe ich etwas Ruhe zu reflektieren und für den Sonntag vorzubereiten – und das ist gut so: Wow, wenn ich über alle Begegnungen, der letzten 10 Tage nachdenke, bin ich sooooo dankbar.
„Ich plane extra nicht so viel“, hatte V. gemailt. Nett. Ich hatte den Eindruck, dass ich auf jeden Fall im Frühjahr nach Russland fliegen solle, aber terminlich ist nur der Zeitraum um Ostern möglich. Die Ältesten der FCG-M sind einverstanden. Im Nachhinein: Der Zeitpunkt ist perfekt. Sieben Gottesdienste sind es dann neben dem Unterricht geworden, fest geplant waren zwei bis drei…
Der Unterricht läuft sehr gut, die Schüler sind sehr dankbar und spiegeln mir das. Fast alle suchen das persönliche Gebet zwischen den Unterrichtsstunden. Zum ersten Mal unterrichte ich papierlos nur mit „HirtenPad“, funktioniert bestens.
Mittwoch bis Freitag sind Gottesdienste in Smolensk, intensive Reaktionen. Pastor A. kommt aus dem fernen Sibirien, er ist einer der Leiter der Gesamtarbeit in Russland. Auch sein Besuch ist nicht geplant. Bis Mitternacht reden wir am Donnerstag. Sehr gut. Ich bin fasziniert von seinen Berichten, wie sich die Arbeit aus kleinen Anfängen unwahrscheinlich positiv weiterentwickelt hat.
Regionalleiter /Pastor A. aus S. ist mit mir auf Facebook befreundet. Ihn treffe ich nun in Realität wieder. Durch die Bilder und kurzen Impulse im Internet ist es mir, als wenn sein Dienst mir sehr nahe steht. Als mich Bruder S. aus der Gemeinde am Freitag gegen Mitternacht zum Bahnhof bringt, lässt sich unser Gespräch mit Pastor A. kaum zum Abschluss bringen. Aber vor der Abreise will noch I. aus der Küche, dass wir für sie beten, es geht auf Mitternacht zu….
In Moskau treffe ich Pastor I, einen Verantwortlichen des russischen Gemeindebundes, der Austausch ist nachhaltig und gut. Der Gottesdienst am Abend, zu dem er mich, ohne mich zu kennen, am Vortag eingeladen hatte, ist stark und viele kommen zum Gebet.
Wir fahren quer durch Moskau, um Pastor P. in einem „Starbucks“ zu treffen. Die Herzen gehen auf und wenden sich einander zu. Diese Begegnung wird nachhaltig sein. Wir besuchen Pastor N. und die Gemeindegründung in Moskau: diese Stadt fordert heraus. Auch hier machen sie eine Reha, wie in fast allen Gemeinden, die ich in Russland kenne. Pastor S. aus G., der uns von Moskau bis nach Smolensk chauffiert, sucht das Gebet. Ich kann ihm Ermutigung für seinen Dienst geben. Es ist ein besonderer Segen für Menschen zu beten, ohne sie zu kennen und ohne nach ihren Anliegen zu fragen. Oft ist das Gebet sehr konkret.
L. aus Kuba ist auf der Bibelschule. Sie hat eine besonders starke Stimme. „Via Dolorosa“, spontan begleite ich sie beim Gemeinschaftsabend mit den Bibelschülern auf der Gitarre. Die Atmosphäre unter den Schülern ist warm und herzlich. Sie wollen von meinen persönlichen Erfahrungen wissen.
Im Unterricht schreibe ich in Deutsch an die Tafel, F. und A. aus Bochum helfen V. beim Übersetzen, sie sollen in Bochum auch eine russischsprachige Bibelschule halten. Um das live kennenzulernen, sind sie hier. S. aus Moskau schreibt russisch die Übersetzungen an die Tafel. Es läuft ineinander. Manchmal hapert es etwas mit meinen „Fachworten“ bei den Übersetzern, wenn die „Direktorin“ nicht da ist, aber dann sucht P., der gemeinsam mit Z. aus der russlanddeutschen Gemeinde in Augsburg hier auf der Schule ist, auf seinem Handy bei Google nach den entsprechenden Begriffen.
Ein Mann im mittleren Alter wartet nach dem Gottesdienst auf Gebet. Er hat eine Not, weil eine schwere Krise in seinem Leben ist. Im Gebet habe ich den Eindruck, er solle einen Gegenstand wegwerfen, der eine Bindung für ihn bedeuten würde. Nein, er wüsste nicht von so etwas, übersetzt V.. Es könnte auch ein Brief sein, ergänze ich. Ja, das ist richtig, er hätte den Brief sogar dabei…
Beim abschließenden Abendmahl in der Smolensker Gemeinde sticht mir die Abendmahlskaraffe aus Ton ins Auge. Irgendwie kenne ich die. „Da stehen unten bestimmt die Buchstaben „GP“ drauf“, raune ich V. zu. Richtig, so überzeuge ich mich nach dem Abendmahl, es ist eindeutig. „Kennst du eigentlich die Geschichte eurer Abendmahlskaraffe?“, frage ich Pastor A.. „Njiet“. Ich hole aus: In den 80ziger Jahren habe ich einmal bei der Töpferin GP in meinem Heimatdorf für mehrere Gemeinden Abendmahlsgeschirr aus Ton machen lassen. Irgendwie ist das über die AVC-Mission hier gelandet. „Stimmt, und ich „ärgere“ mich heute, dass ich die Kelche an andere Gemeinden im Land weitergegeben habe“, ergänzt Pastor A..
Russland holt mich irgendwie immer wieder ein…
Frank Uphoff