Schabbat Schalom oder: 55 Minuten Fußweg zum Gottesdienst

An diesem Schabbat ist es heiß. Wie fast an jedem Tag. Am Vorabend des Schabbats werden in Jerusalem die „Gehsteige hochgeklappt“. Viele Familien nutzen den Freitagabend, um miteinander zu essen und zu singen. Das Leben, so scheint es, steht für einen Tag wirklich still. „Schabbat Schalom“. Ich kann den Heimweg von der abendlichen Essenseinladung mitten auf der sonst so belebten Hauptstraße machen. Freundlich grüßt man auch den Ausländer mit dem Frieden zum Schabbat.

Davon könnten wir Deutschen auch lernen. Nicht, dass ich den Sabbat einführen will, aber die Konsequenz mit der das Leben hier ruht ist beeindruckend! Bei uns ist ja eher eine andere Entwicklung in Gange, den Sonntag immer mehr den anderen Tagen anzugleichen. Vielleicht sollte unsere Politik mal einen kleinen Betriebsausflug nach Jerusalem machen…

Ein Bus am Schabbat? Fehlanzeige. So bleibt uns nichts anderes übrig, als zu Fuß zum Gottesdienst zu gehen. Beim Fußmarsch, so stellen wir immer wieder fest, erschließen sich einem die schönsten Beobachtungen am Wegesrand. Auch hier in Jerusalem. Man staunt, was da so blüht und wächst.

Das Finden der messianischen Gemeinden ist nicht immer ganz einfach. Zwar gibt es Listen, aber die genauen Informationen, wann und ob überhaupt ein Gottesdienst stattfindet, sind eher spärlich, auch im Internet. Ja, normalerweise haben wir hier am Schabbat Gottesdienst, aber am 1. Samstag im Monat nicht… Dieses Erlebnis kennen wir schon aus 2009. Schon mehrfach standen wir vor verschlossener Tür.

55 Minuten sind wir also zu Fuß unterwegs. Meine Frau fühlt sich nach Afrika versetzt, wo die Leute auch so lange unterwegs sind, um in den Gottesdienst zu kommen.

Der Gottesdienst in der „Propheten Straße“ (ja, so heißt sie wirklich) ist gerammelt voll. Schön zu sehen, wie viele Leute hier zusammen kommen. Vier Ventilatoren sorgen für einigermaßen erträgliche Temperaturen, fünf Älteste leiten die Gemeinde gemeinsam. Der Prediger bringt sehr gute Gedanken aus dem Buch Jesaja. Leider ist die englische Übersetzung eher spärlich gut und da ich gleichzeitig ins Deutsche übersetze, ist es auch schwierig im gedanklichen Fluss zu bleiben. Auch für Gilad Schalit wird gebetet, so viel bekomme ich auch ohne Übersetzung der Gebete mit.

Victor, der Gemeindegründer, feiert heute seinen 80. Geburtstag. In dieser Gemeinde ist mehr die ältere Generation vertreten. Die Gemeinschaft unter den Leuten ist herzlich, das Geburtstagsbuffet gut ausgestattet, die kleinen Reden am Buffet sind herzlich und tränenreich. Angenehm. Schade aber, dass wir als „Fremde“ hier nicht angesprochen werden. Was immer wieder auch von Deutschland berichtet wird, scheint auch hier üblich zu sein: man kümmert sich mehr um sich selbst. Das macht nachdenklich. Nichtsdestotrotz versuchen wir zu viert unseren Teil und versuchen auf Leute zuzugehen.

Es ist immer wieder interessant, die „Rollen“ zu wechseln und die „andere Seite“ zu sehen, nicht nur in der Rolle des Gastgebers zu sein, sondern auch es Gastes.

55 Minuten durch die Mittagshitze zurück? Leichtes Stöhnen entringt sich der weiblichen Dreiviertelmehrheit unserer Gruppe. Wir entscheiden uns für’s Taxi. Zu viert bleiben nach kurzer Verhandlung zwei Euro pro Person zu zahlen. Inklusiv Schabbataufschlag, versteht sich.

Abends werden wir von unserem Gastgeber durch die Jerusalemer Abendsonne mit dem Auto nach Hause gebracht. Unsere Füße sind nicht undankbar. Daheim wollen wir – wie gewohnt – den Sicherheitscode eingeben, damit sich die Tür zum Hausflur öffnet. Nicht nötig: Es ist Schabbat, da soll man unnötige Arbeit vermeiden. Deswegen sind die Sicherheitscodes an diesem Tag deaktiviert…

Bleibt nur zu hoffen, dass potentielle Diebe auch Schabbat feiern.